Ravensburg. Ist die Neue Gentechnik wirklich das Wundermittel, für das manche sie halten? Welche Risiken bergen CRISPR/Cas und Co.? Und kann die Wahlfreiheit auf Acker und Teller mit einem aufgeweichten EU-Gentechnikrecht erhalten werden?
Zu diesen Fragen diskutierten am Donnerstagabend Norbert Lins, Mitglied des Europäischen Parlaments (CDU), Martina Braun, Mitglied des baden-württembergischen Landtags (Grüne) und Jan Plagge, Präsident von Bioland und IFOAM Organics Europe. Bei der Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau Baden-Württemberg e.V. (AÖL) wurde klar: Die Positionen liegen zum Teil weit auseinander, eine Annäherung scheint aber zumindest in Detailfragen dennoch möglich.
Zu Beginn machte Marion Bohner, Naturland-Landwirtin aus Bad Waldsee und AÖL-Vorstandsmitglied, in einem Eingangsstatement deutlich, worum es bei der ganzen Debatte für die bäuerlichen Betriebe geht: „Wir sehen uns als Bio-Betrieb in der Verantwortung für die Gesunderhaltung unserer Böden und unserer Umwelt. Dazu gehört, dass wir ganz bewusst ohne Gentechnik arbeiten – und das wollen wir auch weiterhin tun können. Von der Politik erwarte ich, dass sie uns Bäuerinnen und Bauern diese Wahlfreiheit sichert“, sagte Bohner.
Plagge: Gentechnikfreiheit geht nur mit Kennzeichnungspflicht und Koexistenzregeln
Bioland-Präsident Plagge nahm den Ball auf und lenkte die Diskussion auf die Verantwortung, die speziell das EU-Parlament hierfür trage. „Wenn der Agrarausschuss des EU-Parlaments sich nun offenbar doch dazu durchgerungen hat, die neuen Gentechniken für Bio auszuschließen, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung“, sagte Plagge an Norbert Lins gewandt, den Vorsitzenden dieses Ausschusses. Ausreichend sei das aber bei weitem nicht, der Beschluss des Ausschusses insgesamt widersprüchlich.
„In der Praxis kann ein Nebeneinander von Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik nur funktionieren, wenn es auch für alle so genannten neuen gentechnischen Verfahren eine Kennzeichnungspflicht gibt – und zwar möglichst bis zum Endprodukt, dem Lebensmittel“, betonte Plagge. Die aktuelle Position des EU-Agrarausschusses sehe dagegen gar keine Kennzeichnungspflicht vor, nicht einmal für Saatgut, und auch keinerlei Koexistenzregeln für Anbauformen mit und ohne Gentechnik. „Hier muss das Parlament noch dringend nachbessern, dafür zählen wir auf Ihre Unterstützung“, sagte Plagge an Lins gewandt.
Kontroverse Diskussion
Der Europa-Abgeordnete Lins betonte, dass es seiner Meinung nach falsch sei, von einer Deregulierung der Gentechnik zu sprechen. Vielmehr gehe es um eine „Neuregelung“, der neuen gentechnischen Verfahren, die „nicht vergleichbar“ seien mit der alten Gentechnik, machte der CDU-Politiker seine grundsätzlich positive Haltung zur Neuen Gentechnik deutlich, für die er an diesem Abend viel Kritik von den rund 150 Zuhörerinnen und Zuhörern im Saal einstecken musste.
Als Vorsitzender des Agrarausschusses und innerhalb der konservativen EVP-Fraktion versuche er aber, „zwischen den verschiedenen Interessen zu moderieren“ kam Lins, der seinen Wahlkreis in Württemberg-Hohenzollern hat, den kritischen Stimmen im Saal entgegen. In diesem Zusammenhang sagte der EU-Abgeordnete dem Bio-Sektor seine Unterstützung für die Einführung von Koexistenzregeln und ein Kennzeichnungspflicht beim Saatgut zu. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass sich die Mehrheitsmeinung der EVP-Fraktion da noch mal ändert“, sagte Lins. Eine Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln lehnte er auf Nachfrage allerdings ab.
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Martina Braun erinnerte ihren CDU-Kollegen daran, dass beide Parteien im Koalitionsvertrag klar vereinbart hätten, „dass wir Baden-Württemberg gentechnikfrei halten wollen“. Zugleich warnte sie vor den nicht abschätzbaren Risiken einer Freisetzung von NGT-Pflanzen in die Umwelt. „Was bedeutet es für das Ökosystem und den Naturschutz, wenn gentechnisch veränderte Kulturpflanzen sich auskreuzen“, sagte Braun. Zugleich verwies Braun darauf, dass 2022 allein in Baden-Württemberg Lebensmittel mit dem Logo „Ohne Gentechnik“ im Wert von rund vier Milliarden Euro verkauft worden seien. Hier gehe es um eine regionale Wertschöpfung, die ohne eine klare Kennzeichnungspflicht für die Neue Gentechnik in Gefahr sei.
Einig waren sich Plagge, Lins und Braun darüber, dass Pflanzen und Pflanzenteile, die mithilfe der Neuen Gentechnik verändert wurden, nicht patentierbar sein sollen. „Es ist gut, dass der Agrarausschuss sich grundsätzlich gegen eine Patentierbarkeit ausgesprochen hat“, sagte Plagge. „Dazu muss jetzt aber das Patentrecht dringend angepasst werden – und zwar bevor man auch nur darüber nachdenkt, das Gentechnikrecht anzufassen.“
Titelbild: Markus Leser
Zur AÖL:
Die AÖL ist die gemeinsame Vertretung der ökologischen Anbauverbände in Baden-Württemberg. In dieser Funktion gestaltet die AÖL aktiv die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Land mit. Als Bindeglied zwischen Politik, Markt und Verbraucher befördert sie die Belange der Ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft durch ein aktives Tun. Gemeinsam mit staatlichen Einrichtungen und anderen berufsständigen Organisationen arbeitet sie die gesellschaftlich erwünschten Stärken von ökologisch erzeugten und verarbeiteten Produkten – im Besonderen von heimischer Öko-Verbandsware – im Interesse des Verbrauchers als Konsument wie als Steuerzahler heraus.
Die Veranstaltung wurde von einem breiten Kreis an Organisationen aus Umwelt- und Naturschutz, Kirchen, Ernährung und Zivilgesellschaft unterstützt, welche sich im Aktionsbündnis gentechnikfreie Landwirtschaft zusammengeschlossen haben (www.gentechnik-freie-landwirtschaft.de).